Donnerstag, November 22, 2007

Leuchtquallenmassaker der unglaubwürdigen Art

Es liest sich wie das Drehbuch eines B-Movie Autors, enthält die Dramatik und die schlechte Aufmachung eines „Der weiße Hai“ und den etwas ungewollt komischen Horror eines „Scream“. Bezug nehme ich hierbei auf diesen Artikel „Der Welt“ vom 21.11: http://www.welt.de/wissenschaft/article1386938/Mysterioeser_Schwarm_vernichtet_Lachsfarm.html
Man spricht von einem durch Leuchtquallen der Art Pelagia nocticula ausgelösten Massaker auf einer Lachsfarm in Nordirland. „Die Angreifer stachen auf die Fische ein“, schreibt man. Überhaupt liest sich der ganze Artikel als wäre eine Horde blutrünstiger Bestien über die Farm hergefallen.
Liebe Redaktion der „Welt“, mir ist klar, dass sich ihr journalistisches Niveau noch nie etwa mit der „FAZ“ vergleichen konnte, aber muss es denn gleich „Bild“-Niveau sein?
Sogar ein Blick in Wikipedia hätte ausgereicht, um dieses an Dramatik und schlechter Recherche nicht zu übertreffende Machwerk zu vermeiden.
Aus meiner biologischen Sicht sehe ich es als meine Pflicht an, ein paar Dinge über Quallen klarzustellen.
Quallen gehören phylogenetisch zur Gruppe der Cnidarier, den sog. Nesseltieren, von denen die meisten einen mehrphasigen Lebenszyklus durchmachen, wobei die sog. Medusenphase das allgemein bekannte Bild einer Qualle darstellt. Sie besitzen ein diffuses, netzartiges Nervensystem mit einigen „Knoten“ (Ganglien) ohne etwas, was wir als „Gehirn“ bezeichnen würden. Die freilebende Medusenform gehört zum Plankton und ist kein aktiver Schwimmer, sondern lässt sich von der Meeresströmung treiben und kann lediglich durch Kontraktionen einem Absinken entgegen wirken. Die Ernährung erfolgt durch passiven Beutefang. Nesselzellen(die Namensgeber der Gruppe), die sich bei Berührung durch ein Opfer bei einem Innendruck von 150bar innerhalb von 3ms mit der 40000fachen Erdbeschleuigung entladen betäuben das Opfer und ermöglichen eine Verdauung. Aufgrund dieser Tatsache kann man einige größere Quallenarten wie Physalia physalis durchaus zu den gefährlichsten Tieren der Welt zählen, jedoch nicht zu den aggressivsten.

Was können wir aus diesen Informationen entnehmen?
1) Der Ausdruck „Schwarm“ ist schon sehr fragwürdig, denn als einen Schwarm bezeichnet man einen Zusammenschluss von z.b. Fischen, Vögeln oder Insekten zur Wanderung (beispielsweise zum Nahrungserwerb) oder auch zum Schutz vor Fressfeinden. Da Quallen wie erwähnt zum Plankton zählen und keine aktiven Schwimmer sind, kann man hier nicht unbedingt von einer Wanderung sprechen.
2) Die Quallen haben keinesfalls auf die Opfer „eingestochen“ wie es im Text formuliert wird. Beim Berühren der Lachse wurden lediglich die Zahlreichen Nesselzellen zum Beuteerwerb aktiviert, von einer aktiven Ermordung, dass man es „Massaker“ nennen könnte, kann hier nicht die Rede sein, wie beschrieben handelt es sich lediglich um einen passiven Beuteerwerb.
3) Das Nervensystem lässt kein „gewolltes“ Handeln zu, sodass man nicht von einem Angriff böswilliger Art wie dargestellt sprechen kann. Geschweige denn von einem Blutrausch wilder Bestien, die scharenweise über eine arme, hilflose Lachsfarm herfallen, wie es sich ansatzweise darstellt.
Viel mehr wird hier versucht, ein künstliches Bild von einem bösen Raubtier aus den tiefen des Meeres zu erzeugen. Durchaus einleuchtend. Der fiese weiße Hai der 80er ist außer Mode gekommen und seit „Free Willy“ taugen nicht einmal mehr die gemeinen „Killerwale“ als Meeresungeheuer, werden sie doch mittlerweile gesellschaftstauglich meistens „Orca“ genannt. Durch „Fakten, Fakten, Fakten“ wie die Anzahl der Opfer (100000) und Assoziationsketten wie „Das Meer war rot von all diesen Quallen“, aber auch durch die zum Ausdruck gebrachte Hilflosigkeit wird dem Leser ein Bild eines Ungeheuers suggeriert, von dem Godzilla hätte träumen können.
Um die Geschichte verkaufbar zu machen, muss natürlich auch ein Held auftauchen. So wird noch einmal der heroische Versuch von gerade einmal einem dutzend Männern in exakt 3 Booten hervorgehoben, sich als Retter von 100000 Lachsen der unbezwingbaren Übermacht der Killerquallen entgegen zu stellen.
Auch einen Sündenbock braucht man...was bietet sich denn derzeit am besten an. Na klar, der Klimawandel ist schuld – was sollte es auch sonst anderes sein? Das verkauft sich derzeit gut und eine Erklärung lassen wir mal vorsorglich weg. Das hätte den Rahmen das Artikels auch gesprengt und die Spannungskurve des Artikels so flach wie meine Heimat Norddeutschland werden lassen.
Vorschlag meinerseits an den Redakteur: Wie wäre es, wenn wir die Quallen zu fiesen Terroristenquallen machen und schreiben, das das ganze als gemeiner und hinterhältiger Anschlag auf die westliche Welt geplant war? Ein hübsches Dramarturgie-Element!

Nun mal ehrlich...was soll uns dieser Artikel sagen? Wird hier an das Erinnerungsvermögen der von UV-Licht gebackenen und von Sangria & Bier geformten Mallorca-Urlauber appelliert, wo die Quallen als „Plage an den Touristenstränden“ weitreichend bekannt sind. Oder sollte man ernsthaft über einen Kommentar zu dem Artikel nachdenken, wo das ganze scherzhaft als groß angelegter Versicherungsbetrug deklariert wird, frei nach dem Motto „Watt in de Medien is, muss man uch glauben, nech?“ Nein nein, meiner Meinung nach beurteilt der Artikel sich zum Schluss selbst und rechtfertigt mit den Worten „Es ist eine Katastrophe“ seine Kommentierung in diesem Blog selbst. Mein biologisches Denken möchte über dieses Machwerk einfach nur weinen, jedoch ist es eine winzige Formulierung, die mich den ganzen Artikel herzhaft belachen lässt: „[...]nach Angaben der Betreiber[...]“.

Quellen:
Artikel in "Die Welt"
Wikipedia
Vorlesungsskript „Grundkurs Zoologie“ von Achim Paululat Teil „Cnidarier“
Vorlesungsskript „Einführung in die Meeresbiologie“ von Torsten Struck
„Systematik-Poster: Zoologie“ Westheide/Rieger 2. Auflage

1 Kommentar:

K. Tastrofe hat gesagt…

Sehr schön, endlich mal wieder was von dir zu lesen. Wirklich lachhaft, aber einige "seriöse" Zeitungen lassen sich immer mehr zum Bildstil herab... im Journalistikstudium muss man wohl nur noch Mandalas ausmalen!